Reinhard Klockow

 

 

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In meiner Dissertation

Linguistik der Gänsefüßchen. Untersuchungen zum Gebrauch der Anführungszeichen im gegenwärtigen Deutsch. 415 S., Frankfurt am Main: Haag und Herchen, 1980

geht es um die gelockerte oder ausgesetzte Identifikation mit dem eigenen sprachlichen Ausdruck. Man sagt oder schreibt etwas und signalisiert gleichzeitig (z.B. mit Hilfe von Anführungszeichen) Distanz von den Wörtern, die man benutzt. Warum tut man das? Warum benutzt man nicht ein anderes, unproblematisches Wort? Weshalb dieser merkwürdige semantische Zickzackkurs? Z.B. deshalb, weil für das Gemeinte kein passendes Wort zur Verfügung steht, man sich also mit einer Notlösung zufrieden geben muss; oder weil man das Wertsystem, das hinter dem Wort steht, nicht anerkennt; oder weil es durch frühere Verwendungen korrumpiert ist; oder weil andere es in einer Weise benutzen, die man ablehnt und bloßstellen will; oder weil man Anspielungsräume öffnen, witzig sein möchte. Usw. Es geht also um Themen wie Sprachkritik, Sprachnot, Polemik, sprachliche Hoheitsansprüche, aber auch Ironie, Sprachspiel etc.; und außerdem um die Frage, wie der Anführungszeichen-Trick semantisch überhaupt funktioniert, so dass man trotz des Umwegs über das Nicht-Gemeinte versteht, was gemeint ist. Leider ist die ursprüngliche, mich nach wie vor faszinierende Idee unter ziemlich vielen mühsamen Erörterungen begraben, die ich im Namen der "Wissenschaftlichkeit" (wieder ein Beispiel!) anstellen zu müssen glaubte. Ein typischer Dissertationsfehler. Schade, es hätte ein so schönes Buch werden können.

Von der Veröffentlich nahm zunächst kaum jemand Notiz (zwei kurze Rezensionen). Seit einiger Zeit deutet sich aber eine späte Rezeption dieses "weitgehend vernachlässigten, aber vielversprechenden Beitrags" (Erik Stei, 2007) an. Immerhin hatte David Herman schon 1993 auf "Reinhard Klockow's ingenious study of the linguistics of quotation marks" verwiesen. Die Süddeutsche Zeitung vom 31.7.2007 nannte die "Linguistik der Gänsefüßchen" gar ein Werk, "das auch bei Nachrichtenagenturen auf keinem Nachttischchen fehlen sollte" (da würde ich es am wenigsten vermuten), und Hans Jürgen Heringer schrieb mir daraufhin, dass auf seinem Nachttisch die "Gänsefüßchen" liegen; was denn aus dem klugen Autor eines so klugen Buches geworden sei? (Ein Kreuzberger Studienrat.) Auch Franziska Augstein befasste sich in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 15./16.5.2010 ausführlich mit meinen Gänsefüßchen. Jedenfalls wird auf dies "kluge Buch" seit ein paar Jahren nicht nur gelegentlich verwiesen, es wird auch inhaltlich rezipiert und diskutiert (z.B. die These von den "modalisierenden" Anführungszeichen als "Implikatursignal"), und das freut mich natürlich. Vielleicht machen ja auch nützliche Termini wie "Begriffsvorbehalt" oder "Applikationsbestreitung" allmählich Karriere.

Zu diesem Zweck ein kurzer Einführungskurs in die Gänsefüßchen-Linguistik. Die Anführungszeichen können sich entweder auf eine stilistische Besonderheit des markierten Ausdrucks (Neologismus, Dialektzugehörigkeit usw.) oder auf seinen Inhalt beziehen. Bei solch einem Inhaltsvorbehalt gibt es zwei Spielarten: Entweder man problematisiert die aktuelle Anwendung des Worts auf das gerade Gemeinte (Applikationsvorbehalt oder Applikationsbestreitung), oder man stellt das betr. Wort bzw. den mit ihm verbundenen Begriff selbst in Frage (Begriffsvorbehalt bzw. Begriffsbestreitung). Unterscheidungskriterium ist der Negationstest:

- Das ist ja eine „schöne“ Bescherung! Die Bescherung ist eben nicht schön; man distanziert sich von der gegenwärtigen Applikation des Wortes, nicht vom Wort "schön" selbst – Applikationsvorbehalt.

- Der Angeklagte verfügt über ein "normales" Sexualverhalten. Die Anführungszeichen signalisieren nicht, dass das Sexualverhalten "unnormal" ist (nein, es ist "normal", was man auch immer darunter verstehen mag), sondern dass man Vorbehalte gegen den Begriff der "Normalität" hat, den man aber nolens volens benutzen muss (auch "unnormal" würde man in Anführungszeichen setzen) - Begriffsvorbehalt.

 

Im Zusammenhang mit der Dissertation sind zwei Aufsätze erschienen, die Teilaspekte behandeln:

 

Gänsefüßchen-Semantik. Eine Ergänzung zu Lakoffs »Hedges« in: Weber, Heinrich und Harald Weydt (Hg.), Sprachtheorie und Pragmatik. Akten des 10. Linguistischen Kolloquiums Tübingen 1975, Band I, Tübingen (Niemeyer) 1976, 235-246 (= Ling. Arbeiten 31)

Anführungszeichen, Norm und Abweichung, in: Linguistische Berichte 57 (1978) 14-24

Der mehrjährige Türkei-Aufenthalt führte zu intensiver Beschäftigung mit dem Türkischen, einer wunderbar regelmäßigen Sprache, die ich wegen ihrer satzwertigen Konstruktionen à la AcI und ihrer Fähigkeit zu atemberaubendem Periodenbau gern als verschärftes Latein bezeichne. Eine ausführliche Detailstudie zur Valenz einiger Verben im Deutschen und Türkischen bietet der folgende Aufsatz:

Valenzvergleich deutscher und türkischer Verben: sagen, sprechen, reden - demek, söylemek, konuşmak, in: Ege Batı Dilleri ve Edebiyatı Dergisi (Aegean Journal of Language an Literature) 5 (1988) 297-324.

Da er an recht entlegener Stelle erschienen ist, ist er hier zugänglich.


Weitgehend türkisch dominiert sind die Schulen in Berlin-Kreuzberg; die deutschsprachigen Schüler bilden dort eine Minderheit, während die Lehrerschaft fast ausschließlich deutsch ist. Was die Deutschen in diesem Umfeld an türkischen Sprachbrocken mitbekommen, zeigt folgender Artikel:

Eschulleschek. Türkischkenntnisse bei deutschen Lehrern und Schülern einer Kreuzberger Schule, in: Deutsch lernen 18 (1993) 222-230.

Um das Ergebnis kurz zusammenzufassen: Die Lehrer haben zumeist keinerlei Ahnung, sprechen oft sogar die türkischen Namen falsch aus, während die Mitschüler allerhand aufschnappen, vor allem Schimpfwörter und Obszönitäten (die Beispiele - so auch das Titelwort, die verballhornte Form des türkischen Schimpfworts "du Esel und Sohn eines Esels" - machen den Aufsatz recht unterhaltsam; wohl wegen dieser Obszönitäten konnte er nicht in dem türkischen Sammelband, für den er eigentlich gedacht war, erscheinen). Daraus werden einige Überlegungen abgeleitet.


Noch zwei kleine Aufsätze, die meiner Praxis als DAAD-Lektor entspringen:

Mittelhochdeutsch als Fremdsprache, in: Informationen Deutsch als Fremdsprache 14 (1987) 218-220.
(Zeigt, dass kleinere Dosen Mittelhochdeutsch bei türkischen Germanistik-Studenten positive Wirkungen hervorbringen können.)

Soll am deutschen pädagogischen Wesen die Welt genesen? in: Informationen Deutsch als Fremdsprache 17 (1990) 64-68.
(Befasst sich mit dem Selbstverständnis deutscher Lehrkräfte im Ausland und dem merkwürdigen Phänomen, dass sie, unabhängig von ihrer politischen oder sonstigen Couleur, die deutschen Universitäten für einen Hort der Wissenschaftlichkeit und ausländische Unis für "verschult" halten und entsprechende missionarische Tendenzen entwickeln. Sorgte als Vortrag auf dem DaF-Kongress in Kiel 1988 für heftige Diskussionen, weil er den Nagel auf den Kopf zu treffen schien.)